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  Als ob: Henry, June und ich

"henry, june und ich" lautet der Titel des "intimen Tagebuchs" von Anais Nin. Die im Audiobuch-Verlag erschienene Lesung handelt ausschließlich von Liebe, Lust und Leidenschaft. Der Schriftsteller Henry Miller, die Tänzerin June und die Autorin selbst bilden eine hochexplosive Dreiecksbeziehung. Gelesen wird dieses Buch von Franziska Pigulla, deren rauchig dunkle Stimme die laszive Atmosphäre des Gehörten wunderbar unterstützt.
Von der Ehe gelangweilt, begibt sich Anais Nin auf die Pirsch. Schon bald taucht die attraktive June auf, in die sich die Schriftstellerin verliebt . Entsprechend dem sinnlich- irrationalen Charakter Junes sind auch die Gefühle zu ihr: leidenschaftlich und ekstatisch. Nun ist die Langeweile zwar vorbei, doch an ihre Stelle treten andere Probleme, die dem Hörer noch aus pubertären Zeiten bekannt sein dürften.
Damit nicht genug: Der Schriftsteller Henry, der Gatte der brünetten June, tritt ebenfalls in Anais Leben. Die Zuneigung zu dem eher intellektuellen Henry ist auch hier typgerecht: Nin fühlt sich von Henrys "geistiger Größe" angesprochen.
Nin findet ihre widersprüchlichen Anlagen also in beiden Personen gespiegelt nach dem Motto "Zwei Seelen wohnen, ach..." . Dionysischer Taumel auf der einen und appollinischer Genuß auf der anderen Seite erwecken den Eindruck von einem klischeehaften Gut-und-Böse- oder Himmel-und-Hölle - Konstrukt. Kaum zu glauben, dass sich die im "Tagebuch" verewigten Erlebnisse nach diesem Schwarz-weiß-Schema zugetragen haben! Die Wirklichkeit ist doch viel komplizierter.
Unrealistisch ist auch, dass hier Wünsche unverzüglich erfüllt werden fast wie im Märchen. Kurz nachdem Nin den Entschluss gefasst hat, sich über amouröse Abenteuer verwirklichen zu wollen, tauchen prompt ihre beiden Liebhaber auf - wie auf Bestellung. Es fällt schwer, an derartige Zufälle zu glauben.
Alles in allem drängt sich der Verdacht auf, dass dieses "Tagebuch" der Anais Nin frei erfunden sein könnte. Die intimen Aufzeichnungen sollen wohlmöglich nur tatsächlich Erlebtes suggerieren.
Wozu? Reale Liebesstories ziehen zahlungswillige Konsumenten mehr an als fiktive, vor allem, wenn sie anstößig sind und die Akteure im öffentlichen Leben stehen wie hier Henry Miller und die Autorin selbst. Nicht zuletzt beschwört das Aufrollen jenes spannungsgeladenen Gegensatzes die heiß geliebten Konflikte herauf, die auch noch in einer moralisch illegitimen Dreieckskonstellation angesiedelt sind. Dort sorgen gleich ein zweifacher Ehebruch sowie eine lesbische Beziehung im puritanischen Amerika der 30er Jahre für garantierten Speichelfluss.
Ständig fragt man sich: Wann kommt es zum ersten Krach, wie wird es bloß enden mit den dreien und was sagen die anderen dazu?
Das explosive Gemisch aus Schwarz-weiß - prägt nicht zuletzt die dramaturgische Gestaltung. Nin bindet ihre schlüpfrigen Schilderungen an geistige Kontrapunkte, um den Leser bei Laune zu halten. Sie versteht es, erotische Erlebnisschilderungen geistig zu überhöhen, sei es mit poetischen Einblicken in ihre Gefühlswelt oder subtilen Charakterstudien.
So steigt die Neugier auf das Unvermeidliche ungleich stärker an als bei den billigen soap-Operas im Vorabendprogramm. Das dahinter zu vermutende Kalkül, das man der an chronischem Geldmangel leidenden Autorin unterstellen mag, ist aufgegangen: Ihr "intimes Tagebuch" wurde bis heute gut verkauft .
Abgesehen davon, dass die literarische Vorlage real Erlebtes nur vorzuheucheln scheint, ist die Produktion doch sehr gelungen - nicht zuletzt dank der einfühlsamen Interpretation von Franziska Pigulla.

Anais Nin , "Henry, June und ich"
Gelesen von Franziska Pigulla
Regie: Corinna Zimber
2 CDs, Laufzeit: 140 min
2004 by Audio-Buch
ISBN: 3-89964-084-9

 

 

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