Mit "Das Haus mit den 100 Türen" und "Schnee" hat Fanny Morweiser 1977 zwei ungewöhnliche, aufwühlende Geschichten geschaffen.
Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Neckertal. Sie hat an der Kunstakademie in Mannheim studiert und bereits viele Romane und Erzählungen veröffentlicht.
Im Jahr 2004 wurden zwei ihrer Geschichten aus dem Band "Indianer-Leo und andere Geschichten aus dem Wilden Westdeutschland" vom ContraPunkt Hörbuchverlag vertont. Die erste Geschichte des Hörbuchs "Das Haus mit den 100 Türen" wird von der Schauspielerin und Sprecherin Karin Schilling gelesen. Der Geschichte "Schnee" gibt der Musikwissenschaftler und Germanist Frank Suchland seine Stimme. Die untermalende Musik stammt von Oliver Hartmann.
"Das Haus mit den 100 Türen" ist eine phantasievolle, nicht leicht zu durchschauende Geschichte, die zu schweben scheint und den Hörer mit ihrer beinah transzendenten Art gefangen hält. Ein hässlicher kleiner Junge wird auf der Gartenparty seiner Mutter von einem schaukelnden Mädchen beschimpft. Er wehrt sich, indem er an der Schaukel rüttelt. Die Eltern sind hart. Sie bestrafen ihn, schließen ihn in sein Zimmer ein. Des Jungen Glück ist seine ältere Schwester, die ihn seiner Hässlichkeit und Unbeliebtheit wegen umso mehr liebt. Gemeinsam stehlen sie sich davon, um einen Drachen zu suchen, den der Junge von seinem Zimmer aus auf einer Pagode im Park entdeckt haben will.
Dort geschehen merkwürdige Dinge. Ein Hauch Unwirklichkeit weht durch den Park, ein Junge, der durch Wasser gehen kann, ein Haus voller Kostüme, die Musik einer Spieluhr, die scheinbar aus dem Nichts kommt - und tanzende, schwerelose Kinder in herrlichen Kleidern.
Sie alle teilen das Schicksal, missverstanden zu werden. Ihr Wunsch nach Selbstverwirklichung passt nicht in die verknöcherte Welt ihrer allzu erwachsenen Eltern. Diese Unvereinbarkeit schafft eine Welt des Paranormalen.
Auch in "Schnee" kämpft ein Kind mit der Realität. Das Mädchen hält sich seine verstorbene Schwester lebendig - so lebendig, dass das Wesen der Kleinen schaurige Züge annimmt. Sie scheint, verrückt zu sein, in einer anderen Sphäre zu leben. Diese Parallelwelten, die bodenlosen Seelen, wirken auf den Hörer bedrohlich, sie machen Angst, weil sie so ungreifbar sind.
Und doch ist es nicht das Schlechte, was die beklemmende Wirkung erzeugt. Es ist nur das Andere. Eine andere Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, sich nicht zu verlieren, in einer Welt, in die man nicht passt.
Die beiden Hörspiele lassen den Hörer, wenn sie verklungen sind, in einer seltsamen Stimmung zurück. Man hat den Eindruck, als müsste man erst wieder aufwachen, den Raum verlassen und die Tür fest hinter sich schließen. Boden unter den Füßen bekommen.
Karin Schillings und Frank Suchlands Stimmen passen gut zu dem geisterhaften Wesen der Texte. Und auch Oliver Hartmanns Melodien unterstreichen diese Stimmung. In "Schnee" scheint die Musik jedoch zuerst wenig passend, weil sie so fröhlich beschwingt daherkommt.
"Das Haus mit den 100 Türen" ist ein 63-minütiges seltsam substanzloses Hörerlebnis. Es wirkt wie ein Traum und ist doch durchaus wert, sich eine Weile dafür herzugeben.
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