"Kalendergeschichten" nennt Rafik Schami seine kurzen Fabeln und hintersinnigen Alltagsanekdoten. Tatsächlich könnte jede Erzählung die Geschichte zu einem Kalenderblatt über den Orient sein, in denen die Zuhörenden dann akustisch blättern können, um die arabische Weltvor dem geistigen Auge lebendig werden zu lassen. "Die Farbe der Worte" ist eine Zusammenstellung von insgesamt 34 Geschichten aus Schamis Büchern "Der ehrliche Lügner", "Eine Hand voll Sterne" , "Der Fliegenmelker" und "Reise zwischen Nacht und Morgen".
Der Autor spricht seine kleinen - meist humorvollen - Geschichten selbst, der unverkennbare Akzent des in Damaskus aufgewachsenen Schriftstellers unterstreicht die Stimmungsbilder, die Schami durch seine blumige Sprache erzeugt. Aus nahezu allen Lebensbereichen wie Politik, Kirche, Gesellschaft und Familie weiss er hörenswertes zu erzählen, autobiographische Züge sind dabei fast immer herauszuhören. Man glaubt ihm seine Geschichten, auch die scheinbar unmöglichen.
Da ist zum Beispiel der Papagei, der von seinem Besitzer lernt, den Diktator zu beschimpfen. Doch als der regimekritische Lehrer Besuch von seinem regimetreuen Chef bekommt, muss der Papagei ausgesperrt werden. Kopfüber wird er aus dem Fenster gehängt. Zur Strafe beginnt der Vogel nun, den Diktator in höchsten Tönen zu loben und zu feiern und fliegt dann davon. Diese Parabel ist nicht Schamis einziger Apell, zur eigenen politischen Überzeugung zu stehen. Subtil sind seine kritischen Anspielungen, die meist abstrahiert werden müssen, doch ist seine Absicht völlig klar, wenn er die Marotten der Araber oder der Deutschen aufs Korn nimmt. Er will damit wohl weniger pauschalisieren, als kulturelle Unterschiede satirisch beleuchten.
So fragt sich der - seit dem Militärputsch in seiner Heimat 1971 - nach Deutschland emigrierte Schami, "Warum ist ein Kaufhaus kein Basar" ? Die Antwort in der gleichnamigen Geschichte gibt der verwirrte Ich-erzähler, der für einen 250 DM-Pullover fast zwei Drittel des Preises zahlen wollte. Auf dem Basar hätte sich der Händler gefreut über dieses Angebot, ja er wäre dem Kunden hinterhergelaufen, wäre er gegangen. Doch die Kaufhausangestellte läßt ihn mit gleichgültiger Mine von dannen ziehen, "dann kaufen sie doch woanders!". Der syrische Erzähler stellt immer wieder die Deutsche Ordnung gegen das in arabischen Ländern weitaus weniger regulierte Leben. "Mir kommen die Europäer so vor, als wären sie alle am Bahnhof geboren. Sie wissen nicht nur das Datum, sondern auch noch die Uhrzeit ihrer Geburt", bemerkt er. In seiner Erzählung "Sternzeichen" weiss seine Mutter auf die Frage, wann er denn geboren sei, dass es im April war als die Pfirsiche erntereif waren.
Zum Schmunzeln sind seine Schilderungen der Konventionen bei Einladungen. Während die Gäste in Deutschland zu Einladungen etwas mitbringen, und zwar "meistens Nudelsalat", den er auch nach über 20 Jahren hier nicht lieben gelernt hat, wäre dies in seiner Heimat unhöflich. Nach dem Grundsatz "Ein Satter verträgt noch 40 Bisse" meint Schami, eine Einladung bei einem Araber grenze an Körperverletzung, denn ein Gast kann nicht nur sagen, dass es ihm schmeckt, er muss es beweisen.
Dem promovierten Chemiker Schami gelingt es hervorragend, auch Deutsche Charaktere aufzuschnappen und sprachlich zu imitieren, ebenso versteht er es in seinen Kindheitserinnerungen die schwärmerische Liebe zu seinem Land zu vermitteln. Begleitet sind seine unterhaltsamen Geschichten stets von einer Spur Selbstironie, die auch die Zuhörenden auf sich selbst übertragen können: man erkennt sich oft wieder in seinen literarischen Bildern.
Rafik Schami steht in der arabischen Tradition des Geschichtenerzählers. Das Hörbuch ist für ihn daher das angemessene Medium, wenngleich er seine Geschichten ausformuliert zu Papier bringt. "Die Farbe der Worte" liefert kleine Denkanstöße und heiter-angebrachte Kritik, vor allem aber kann man sich mit diesem Hörbuch zweieinhalb Stunden lang von einem hervorragenden Geschichtenerzähler unterhalten lassen.
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