Wieso das Tragen von Shorts ein amerikanisches Grundrecht ist und warum die Kunden von Bioläden so ungesund aussehen, wohin ein miserabler Orientierungssinn führen kann und was der New Yorker Schilder-Wald über Menschen aussagt: Mit "New York" - eine Auswahl von Kolumnen, die Lily Brett seit Mai 1999 in der Zeit über ihr Leben in New York veröffentlicht hat - bieten sich dem Ohr humorvolle Momentaufnahmen. Alltägliche Situationen und kurze Anekdoten versteht die Autorin mit viel Sprachgefühl und ironischen Formulierungen zum Leben zu erwecken.
So wird eine Autopanne bei einem Urlaubsaufenthalt zum schönsten Tag, den die Erzählerin seit Jahren auf dem Land verbracht hat: Mit der Vielzahl von Menschen, die ihr auf einem Parkplatz zur Hilfe eilen, als ihr Wagen nicht anspringt, "herrschte auf diesem Supermarktparkplatz eine bessere Stimmung als bei den meisten Essenseinladungen".
Sehr persönlich erzählt die Autorin aus ihrem Leben, von ihren Macken und Erfahrungen. Eine ihrer Macken ist die Hypochondrie, sie erleidet stets die Schmerzen und Wehwehchen anderer. Sie hat jedes Syptom gehabt, dass ihr Mann jemals hatte; nachdem er am Bein operiert wurde, humpelte sie wochenlang. Im Bezug auf Krankheiten "kann man sich über irgendetwas immer Sorgen machen."
Manchmal wird Lily Brett etwas zu persönlich, wenn sie beschreibt, wie sehr sie ihren alten Vater in Australien vermisst oder warum sie sich nicht überwinden kann, einem auf der Straße lebenden Pärchen Geld zu geben. Doch steckt auch in diesen sehr persönlichen Geschichten stets eine allgemeine Aussage - über die Problematik der alternden Gesellschaft oder das abgestumpfte Wegsehen und mangelnde Hilfsbereitschaft. Die meisten ihrer Fautpas sind unterhaltsam und regen zum Schmunzeln an, besonders die mit "Orientierungssinn" überschriebene Erzählung, in der sie über sich selber sagt: "Zumindest bin ich in meinen Fehlangaben zuverlässig, ich schicke die Leute zuverlässig genau dorthin, wo sie nicht hinwollen."
Wie der Titel "New York" vermuten lässt, erfährt man nicht nur einiges über sie, sondern auch viel über die Stadt, in der sie lebt. Eine Stadt, die vom Lärm geprägt ist, der unter anderem verusacht wird durch "934 000 Autos, die jeden Morgen nach Manhatten fahren und sich 127 000 Tiefgaragenplätze teilen müssen."
Ihre Beschreibung der AmerikanerInnen ist ironisch-witzig, dabei jedoch sehr klischeehaft. Dass "die Amerikaner" laut sprechen, lärmend und rücksichtslos sind oder dass "die Amerikaner" Shorts lieben, bestätigt Vorurteile. Relativiert werden diese teilweise gehässigen Verallgemeinerungen dadurch, dass Lily Brett noch mehr über sich selber lacht. So sehr sie belächelt, dass der Portier in ihrem Haus immer auf die Nachfrage nach seinem Befinden "großartig" entgegnet, stellt sie dann auch selbstkritisch ihre eigene Unfähigkeit dar, auf die Frage "Wie geht`s" wenigstens "gut" zu antworten - großartig komme ihr auch nach jahrelanger Therapie nicht über die Lippen.
Manche der kurzen Beschreibungen wirken etwas zu alltäglich, hin und wieder wartet man vergeblich auf die Pointe einer ihrer Geschichten, die wohl nicht auf Pointen hinzielen, sondern Momentaufnahmen sein sollen.
Hintersinnig-philosophisch analysiert die Kolumnistin Schilder und Aushänge, die eine Stadt zieren:
"Anschläge können intimeres Mitteilen als ein Großteil unserer verbalen Kommunikation". Wenn ein Schild unnötigen Lärm verbietet fragt sie sich, wie unnötig Lärm sein muss, damit er in die Kategorie "unnötig" fällt.
Lily Brett weckt Betroffenheit für die Großstadteinsamkeit und begeistert zugleich für diese pulsierende Stadt, mit der sie zweifellos eine Haßliebe verbindet. So pointiert ihre Kritik an dieser Stadt ist, so sehr scheint sie an ihr zu hängen:
"New York fehlt mir jedes Mal, wenn ich wegfahre. Oft fehlt mir New York schon, bevor ich fahre. Bereits beim Packen fehlt mir die Stadt."
Dem Hörbuch merkt man an, dass es sich um eine Aufsatzsammlung und nicht um ein literarisches Werk handelt, einige Kolumnen sind sicher besser zu lesen als zu hören. Die in Berlin lebende amerikanische Schauspielerin Leslie Malton liest die Texte recht gut, teilweise falsch betonte Worte und Satzteile stören aber den Hörfluss. Insgesamt gelingt es ihr jedoch, Lily Bretts Wortwitz Ausdruck zu verleihen.
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