"Der Untertan", das vielgepriesene Meisterwerk Heinrich Manns, dessen Verfilmung zu den Klassikern der Filmgeschichte gehört, liegt in einer Hörspielfassung des Westdeutschen Rundfunks von 1971 seit Anfang 2001 auch als Hörbuch vor. Es ist mit einer Spieldauer von insgesamt vier Stunden stark an sein gedrucktes Original angelehnt.
Heinrich Mann ist mit dem Roman das beeindruckende Psychogramm eines "Untertanen" im Wertesystem des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelungen. Ihm trägt das Hörbuch weitestgehend Rechnung.
Der Protagonist, der aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammende
Diederich Heßling, lernt auf seinem vorgezeichneten Karrieretrip von Familie über Schule und Militär bis hin zu seiner Korporation, der "Neuteutonia", sich anzupassen und unterzuordnen - mehr auf Verderb als Gedeih.
Die immerwährende Angst vor Strafen bringt Heinz von Cleve als Sprecher des kaiser- und vaterlandstreuen Heßling in einem stockenden, fast leisen und ängstlichen Ton zum Ausdruck. Innere Monologe und - auch musikalisch gefärbte - Kommentierungen - vermitteln schockierende Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt des Untertanen. Die geschickt eingefügten Introspektiven verraten, warum er seine Liebe zu Agnes sowie die Bewunderung für einen politisch Andersdenkenden verleugnet.
Allerdings lässt die Inszenierung das tragikomische Moment der psychischen Verstümmelung vermissen, das in der Verfilmung von Rolf Staudte ungleich besser herausgearbeitet wurde. Positiv hervorzuheben ist indes Cleves variable Stimmführung. Sie schafft es, die Entwicklung Heßlings von einem furchtsamen Untertanen zu einem autoritären Machtmenschen widerzugeben. Als Heßling sich im väterlichen Betrieb den Arbeitern vorstellt, überrascht der Wechsel von einer ängstlichen, gefühlvoll- sensiblen Tonlage zu einem brutalen Gebrüll. Die abwechslungsreich und widersprüchlich angelegten Sprechhandlungen aller Akteure tun ihr Übriges, um die Aufmerksamkeit immer wieder aufs neue zu erregen.
Trotz der geringfügigen Mängel transportiert das Hörbuch die Stimmungen des Romans sowie die zeitlose Botschaft auf eine nachvollziehbare Weise. Parallelen zur heutigen Zeit drängen sich geradezu auf. "Schwach vor Starken und stark vor Schwachen" ist das sozialdarwinistische Prinzip Diederich Heßlings, das - trotz "Auschwitz" immer noch regiert und daher zur Besinnung mahnt. "Weichei", "Frauenversteher" oder "Warmduscher" sind Attribute im derzeitigen Jugendjargon, mit denen der deutsche Diederich Heßling seine Schwächen verachten könnte, lebte er ein Jahrhundert später. Leistungsstärke, Selbstbewußtsein und Belastbarkeit sind indes erwünschte Eigenschaften der heutigen Imagepflege, die Heßling zwar nicht nennt, aber das Gleiche meint, wenn er von "Macht", "Drill", "Zucht und Ordnung" spricht.
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