Das Reichstagsgebäude in Berlin ist nicht nur Schauplatz der deutschen Geschichte, es hat selbst eine. Welche es hat, zeichnet das viel diskutierte Buch "Der Reichstag - Die Geschichte des deutschen Parlamentshauses" von Michael S. Cullen auf. Der Herzfrequenz Hörverlag produzierte dieses lehrreiche Werk als Hörbuch unter der Regie von Claudia Gehre.
Faktenreich und sehr detailliert verfolgt Cullen die Baugeschichte des Reichstages von den Anfängen bis zum heutigen Tage. Dabei lässt er keinen Aspekt aus. So erfährt der Hörer sogar, woher die Steine des Reichstags stammen und welchen wirtschaftlichen Nutzen der Bau hatte. Wenn auch die raumeinnehmende Baugeschichte im Vordergrund steht, so gibt das Buch selbst einen kurzen Abriß der Parlamentsgeschichte sowie des kulturellen und politischen Umfelds zur Entstehungszeit des Reichstags.
Minutiös sind die Schilderungen, wie die Befürworter des Reichstagsbaus - vorneweg der Architekt Paul Wallot - in langwierigen Auseinandersetzungen ein Grundstück oder - etwas später - Kunstgegenstände erwarben. Eine gute Gliederung sowie der Wechsel von drei -leicht affektierten - Sprechern lockern die mitunter langatmigen Ausführungen auf. Zeitzeugenberichte sowie der Rückgriff auf unterschiedliche Textgenres tun ein weiteres, um das Hörbuch abwechslungsreich zu gestalten. So ist ein Gedicht von Frank Wedekind beispielhaft für die kritische Aufnahme des Gebäudes in der breiten Öffentlichkeit. Die Inschrift "Dem Deutschen Volke" war ein weiterer Stein des Anstoßes. Dem deutschen Volke ....ist der Eintritt verboten", ergänzte ein Spötter.
Besonders interessant sind die Reden einiger Reichstagsabgeordneter zur Zeit der Weimarer Republik, wo der Reichstag eine zentrale Rolle einnahm. Im Originalton proklamiert Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstags die deutsche Republik, während Wilhelm Liebknecht vom Stadtschloß die Räterepublik ausrief. Dass Scheidemann und nicht Liebknecht Gehör fand, liegt daran, dass er am richtigen Ort war, nämlich im mittlerweile respekteinflößenden Reichstagsgebäude. Andere Reden, wie die von Clara Zetkin, mit ihren strengen - für heutige Ohren ungewohnten Stimmen - entführen in eine alte Zeit.
Einige Ereignisse waren unmittelbar mit dem Gebäude verknüpft. Der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 war der NSDAP ein willkommener Anlaß, ihre diktatorische Macht zu festigen. Obschon das Gebäude nach dem Brand über Jahrzehnte weitgehend ungenutzt blieb, hat es, wie zu hören ist, keine unwesentliche Rolle gespielt. Als Symbol deutscher Geschichte wurde es nie vergessen, selbst als der Regierungssitz nach Bonn verlegt war. Erneuter Schauplatz des politischen Tagesgeschehens ist das Reichstagsgebäude nach seiner Renovierung von 1999. Ein Hörgenuß sind die historischen O-Tondokumente, die die trockene Bau-substanz mit Leben füllen.
|
|
Michael S. Cullen, "Der Reichstag"
Gelesen von Susanne Barth, Bernt Hahn und Michael Prelle
Redaktion: Claudia Gehre
© 2001, Print-Erstveröffentlichung 1983
2 CDs, 32 Minuten 58
Hertzfrequenz Hörverlag
|