Was andere hinter vorgehaltener Hand tuscheln, wird hier schonungslos offengelegt: In den lasterhaften Balladen des legendären François Villon (1431-1463), gesprochen von Klaus Kinski (1926 - 1991). Wenn nicht er, wer sonst! Erweckt doch der begnadete Schauspieler den Geist Villons meisterhaft zu neuem Leben.
Villon, dessen "Weib auf den Strich geht", bricht mit seinen autobiographischen Versen sämtliche Tabus des gutbürgerlichen Geschmacks. Und Kinski brüllt, schreit, spuckt und schmettert dem Zuhörer das schier Unerhörte ans Ohr.
Da ist die Rede von der schwangeren Hure, der fetten Sau, oder von Pferderotz, verpestetem Eiter und dem stinkendem Saft, der in den Ritzen der Huren brutzelt. In diesem Saft, so heißt es in einem Gedicht, sollen die Lästerzungen schmoren.
Eklig, nicht wahr? Doch seltsamerweise bleibt das Entsetzen aus, stattdessen stellt sich pure Faszination ein. Denn die 67-minütige CD bietet keinen dumpfen Exhibitionismus der heutigen Tage: Obszönes mischt sich mit nuancenreichen, fast zarten Tönen. Wenn Kinski in nahezu rauschhafter Ekstase mal flüstert, mal stöhnt: "Ich bin nach deinem roten Mund so krank, der sich an deinem Blut betrank", erweicht sogar der Ohrenschmalz.
Verzweiflung aus grollender Tiefe über das Leid der Armen ist ein immer wiederkehrendes Motiv des sozialkritischen Villon. Ein ganz besonderes Fett bekommt die Obrigkeit weg, die ihr Unrecht mit Bibelsprüchen absegnet. Wut, die in dem von Kinski gerollten "R" laut wird, ist einer von vielen Funken, der überspringt. Nur schwer kann sich der Hörer dieser mitreißenden Tonproduktion entziehen. Was hat Kinski, was andere nicht haben, dass er mühelos selbst auf den verstecktesten Gefühlen Klavier spielen kann? Er hat Genialität.
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François Villon, "Kinski spricht Villon"
gelesen von Klaus Kinski
© 1971
1 CD, Laufzeit 67 Minuten 43 Sekunden
Amadeo Österreichische Schallplatten GmbH, Wien
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