Nein,
er war kein rotweintrinkender Bohemien, trieb sich nicht in
Opiumhöhlen herum und amüsierte sich nicht mit mehreren
Frauen gleichzeitig. Erich Kästner fällt aus dem Klischee
des landläufigen Künstlers heraus. Eine zweieinhalb
stündige Hörbuchproduktion zu "Erich Kästner
- Leben und Werk" präsentiert in einem lockeren Streifzug
von der Wiege bis zur Bahre völlig Untypisches über
einen von Deutschlands bedeutendsten Literaten , der eigentlich
Lehrer werden wollte. Kästner kann mit Fug und Recht in
die Kategorie Glückspilz eingeordnet werden. Bereits als
Schüler glänzte er mit überdurchschnittlichen
Leistungen und war der Sonnenschein seiner über alles geliebten
Mutter. Zahlreiche Postkarten und Briefe aus dem privaten Fundus
des Dichters belegen das zeitlebens innige Verhältnis.
Unvermeidliche Schicksalsschläge erwiesen sich allenfalls
als "Fußtritte Fortunas" auf dem Weg zu einem sehr erfolgreichen
Journalisten und Literaten.
Fast wundert es, zu hören, dass der 1899 in Dresden geborene
Kästner alles andere als stromlinienförmig war. Seine
zeitkritischen Satiren, Gedichte und Kolumnen hatten einen festen
Platz in Feuilletons verschiedener Zeitungen, wozu es beeindruckende
Hörproben gibt. Seine bissig- bösen Betrachtungen
- vor allem gegen reaktionäre Tendenzen der Weimarer Republik-
erschienen regelmäßig in der "Weltbühne" neben
den Werken von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzki.
Ein Schauer geht über den Rücken, wenn sein wohl bekanntestes
Gedicht "Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühen" im
O-Ton zu hören ist. Eine besonders amüsante Kostprobe
seiner satirischen Spitzen handelt von den Allüren moderner
Lyriker, die sich für besonders begnadet halten.
Neben zahlreichen Gedichten und Satiren verfasste der passionierte
Kaffehausliterat seine bis in die heutigen Tage beliebten Kinderbücher
so "Emil und die Detektive" oder "Das Fliegende Klassenzimmer".
Sein "Pünktchen und Anton" flimmerte jüngst sogar
in einer Neufassung von 1999 über deutsche Bildschirme.
Wenn Hans Sarkowicz mit lebendiger Leichtigkeit rezitiert, wie
Kinder mit ihrem unverfälschten Gespür für Recht
und Ordnung einen Dieb dingfest machen, scheint die zum Schimpfwort
degradierte Moral für Sekunden aus ihrer diktatorischen
Zwangsjacke befreit.
Obschon Kästner einer der meist gehassten Schriftsteller
der NS-Diktatur war, entkam er bis auf finanzielle Einbußen
dem Terror, den viele seiner Schriftstellerkollegen erleiden
mussten. Selbst während der amerikanischen Besatzungszeit
fasste er sofort wieder Fuß in einer Münchener Zeitungsredaktion.
Kästner blieb als Moralist und Aufklärer weiterhin
aktiv. Er war Mitglied des PEN-Club und engagierte sich gegen
den Vietnam-Krieg.
Doch das Glück blieb ihm nicht sein ganzes Leben lang hold.
Kästner resignierte, er zog sich aus der literarischen
und politischen Szene fast ganz zurück. Er gab keine Interviews
mehr. Nur den Kindern blieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1974
treu. Davon erfährt der Hörer lediglich in Randbemerkungen.
Auch verrät die akustische Biographie wenig Privates. Was
ihn genau zu seiner Haltung und Krankheit trieb, warum er in
einer fast tonlosen Stimme spricht, bleibt offen.
Wie das Leben Kästners ist auch das Hörbuch sonst
eine rundum gelungene Produktion. O-Töne oder verkratzte
Schallplattenaufnahmen vermitteln einen authentischen Eindruck
von dem Charme vergangener Zeiten. Eine reiche Auswahl aus Dokumenten
von und über Kästner sowie perspektivisch gelungene
Sprechereinlagen halten die Aufmerksamkeit bis zum Ende aufrecht.
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