Klassiker halten von der Mode unabhängige Erkenntnisse auf eine unnachahmlich meisterhafte Art und Weise künstlerisch fest. Meist betrifft der Kern ihrer Aussage Menschen: ihre kleinen und großen Fehler, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen, ihre Ängste und Sorgen. Die Zeitlosigkeit ihrer Aussage macht Klassiker für Neuauflagen in den verschiedensten Medien begehrt. Sie gelten als Garant für starke Auflagenzahlen.
An einer gekürzten Hörbuchversion von Alexandre Dumas Meisterwerk "Der Graf von Monte Christo" hat sich Jörgpeter Ahlers versucht. Dietmar Mues liest eine Übersetzung von Christiane Jung aus dem Jahre 1999. Französische Motive des 19. Jahrhunderts, zusammengestellt von Ulrich Maske, begleiten die Lesung musikalisch. Produziert vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) und Jumbo Neue Medien ist das Hörbuch im Frühjahr 2002 erschienen.
Brav führt auch diese Fassung durch das ereignisreiche Leben des Edmond Dantès. Der Hörer nimmt Anteil am Liebesglück des jungen Seefahrers mit der schönen Katalanin Mercedes. Verrat durch Freunde bereitet dem Glück jedoch ein rasches Ende. Edmond wird auf unbestimmte Zeit in den dunkelsten Kerker Frankreichs verbannt. Dort macht er nach langen Jahren der Einsamkeit die Bekanntschaft des ebenfalls gefangenen Abbé Ferria. Gemeinsam arbeiten sie an ihrem Ausbruchsplan.
Letztlich gelingt nur Edmond die Flucht. Er macht sich auf die Suche nach der Insel Monte Christo, auf der, wie der Abb‚ ihm anvertraut hat, sagenumwobene Schätze versteckt sein sollen. Edmond nimmt diese Schätze an sich und kehrt als Graf von Monte Christo nach Frankreich zurück, wo er seinen Racheplan an den ehemaligen Freunden in die Tat umsetzt.
Dietmar Mues gelingt es, in der umfangreichen Handlung die verschiedenen Figuren durch unterschiedliche Stimmführung klar von einander abzusetzen. Es ist eine Freude, seiner Stimme, die in angenehmer Tonlage und sehr gut gewähltem Tempo durch die Geschichte führt, auch über drei CDs am Stück zu folgen. Störend wirken dagegen die musikalischen Einlagen. Im Gegensatz zum Sprecher vermitteln sie einen trägen und ermüdenden Eindruck.
Dieses Hörbuch ist handwerklich gut gemacht. Dennoch fehlt etwas. Jeden, der sich das Vergnügen gegönnt hat, den Roman zu lesen, beschleicht nach dem Hören dieser Version das Gefühl, etwas verloren zu haben. Das Hörbuch gibt zwar die Handlung korrekt wieder, die Seele des Klassikers, seine zeitlose Aussage, bleibt aber auf der Strecke.
Der Graf von Monte Christo erzählt von überbordenden Emotionen. Am Anfang steht das trunkene Liebesglück des jungen Edmond, das von der tiefschwarzen Verzweiflung und zermürbender Einsamkeit im Kerker abgelöst wird. Edmonds Lebensgeister werden erst durch die Bekanntschaft mit dem Abb‚ wieder geweckt. Überschwängliche Freude überkommt ihn, als er die Geräte des Abb‚s zum ersten Mal in die Hand nehmen darf. Sie sind viel mehr als notdürftig zusammengebastelte Helfer. Sie symbolisieren die Kraft des Geistes, den Willen sich nicht dem Schicksal zu beugen. Sie verleihen Edmond neue Lebenskraft. Er beginnt zu lernen: Fremdsprachen, Mathematik, Philosophie, Theologie.
Sein Wissen wie seinen Reichtum setzt er später gnadenlos ein, um seine Feinde zu vernichten. Reiner Haß treibt ihn. Ist das noch menschlich? Ist das die Freiheit, die er in 15 langen Jahren Kerkerhaft herbei gesehnt hat? Versündigt sich der Graf, weil er die göttliche Bestrafung in seine eigenen Hände nimmt?
All diese Fragen und noch viele mehr wirft der Roman auf. Es geht um den schmalen Grad zwischen Recht und Gerechtigkeit, Strafe und Güte, Liebe und Haß. Dieses an Kontrasten und Empfindungen so reiche Werk auf seine pure Handlung zu reduzieren, ist eine unverzeihliche Verzerrung.
Zwar ist das Hörbuch technisch gut gemacht und der Sprecher bietet eine ausgezeichnete Leistung dar. Doch all dies kann den Verlust der Seele des Romans nicht kompensieren. Und wer schaut schon gerne in ein seelenloses Antlitz. |