"Welchen Vers nur soll ich mir auf mich machen?" Tag für Tag stellt sich der Zauberer diese Frage. Sein Verlangen, diese einzigartige Flamme, brennt unlöschbar in seiner Brust. Ist es schlichte Lüsternheit, eine Krankheit oder gar eine kriminelle Neigung?
Vladimir Nabokov hat den Zauberer 1939 ins Leben gerufen. Der russische Schriftsteller experimentierte noch mit einem Thema, das ihm 1955 im amerikanischen Exil mit dem Roman "Lolita" zu Weltruhm verhelfen sollte. Nachdem die verloren geglaubte Geschichte im Nachlass des großen Erzählers wieder entdeckt worden ist, hat Christian Brückner die Hörbuchfassung für den Rowohlt Verlag gelesen.
Der Zauberer ist ein 40-jähriger Mann, der von einem zwölfjährigen Mädchen besessen ist. In seinem Wahn geht er so weit, die kranke Mutter des Mädchens zu heiraten, um sich der Kleinen nähern zu können. Nach dem Tod der Mutter glaubt er sein Ziel endlich erreicht zu haben. Nur ein kleiner Zauber trennt ihn noch von seinen intimsten Wünschen.
Dank detaillierter psychologischer Betrachtungen erfahren wir, was im Kopf des Zauberers vorgeht. Welche Sehnsüchte ihn treiben, welche Gewissensbisse ihn plagen und welche Ängste er hat. Dennoch hat Nabokovs Novelle wenig mit den psychologischen Romanen eines Dostojewskij gemein.
Die scheinbare Wirklichkeit, die Nabokov konstruiert, dient allein der sinnbildlichen Darstellung seiner künstlerischen Welt. Nabokov schafft auf diese Weise eine unerreicht anspruchsvolle und anregende Komposition. Vergleiche mit der offiziell anerkannten Realität können dieses künstlerische Exil nicht erreichen. Angesichts des moralisch hoch brisanten Stoffes, fällt es allerdings schwer, das Werk allein auf künstlerischer Ebene zu betrachten. Dennoch ist es einen Versuch wert.
Christian Brückner wird der Komplexität des Werkes auf bewundernswerte Weise gerecht. Einfühlsam begleitet er den Zauberer bei jedem Stimmungswechsel von eiskalt kalkulierter Berechnung, über heimliche Erregung bis hin zu tiefster Verzweiflung. Mit dieser Lesung beweist Brückner wieder einmal, dass er zu den besten seines Faches gehört.
Hervorragende Vorarbeit zu diesem rund um gelungenen Hörbuch hat Dieter E. Zimmer mit der Übersetzung aus dem russischen Original geleistet. Für alle, die sich auf russische Literatur einlassen wollen, ist "Der Zauberer" eine hervorragende Empfehlung.