Die Kurgäste "In einer deutschen Pension" nimmt Katherine Mansfield (1888-1923) unter die Lupe. Die Erzählungen hat die aus Neuseeland stammende Autorin eigenen Erlebnissen vom Anfang des 20. Jahrhunderts nachempfunden. Die fünf Episoden stammen aus den 1980 erschienenen "Sämtlichen Erzählungen in zwei Bänden". Das 74 Minuten lange Hörbuch hat SOLO in Frankfurt im Frühjahr 2003 herausgebracht. Die ironischen Geschichten liest die Schauspielerin Nina Hoss, die zuletzt in Doris Dörries "Nackt" zu sehen war.
Zunächst beobachtet Mansfield "Deutsche beim Fleisch". Hier stehen sich die deutsche Cuisine und die aus der Sicht der deutschen Kur"patienten" kommentierte englische Esskultur entgegen. Nebenbei bekommt der Hörer noch diverse Wehwehchen mitgeteilt.
In "Der Baron" - der interessantesten der fünf Episoden - dreht es sich um die Essgewohnheiten und sonstigen Geheimnisse eines suspekten, schwarz lederbetaschten "Uradeligen". Zum einzigen Mal wird die Protagonistin hier selbst aktiv und zeigt Interesse an einer sie umgebenden Person, wenn auch nur aus Mitleid, wie sie feststellen muss. Das Ganze mündet schließlich in einer aufschlussreichen Begegnung im Regen.
Auch die Geschichte der Frau Fischer, Besitzerin einer Kerzenfabrik, ist vor allem die der Entwicklung von einem mit Nichtigkeiten beladenen "Plauderstündchen" in geselliger Runde hin zur einer intimeren Zwiegesprächssituation. Am Ende werden stets Charakter und Koketterie der finalen Dialogpartner deutlich.
Nett führt die Ich-Erzählerin am Anfang von "Die moderne Seele" die steifen Flirtversuche eines Blasinstrument spielenden und Kirschkerne weit spuckenden Professors vor, der zudem seiner "friedlichen Einstellung zu Milch" beraubt wurde. Dann taucht ein gewisses Fräulein Sonja mit ihrer Mutter auf. Stets ist sie darauf bedacht, dass der Tochter Kleid und Busen richtig sitzen. Als sich die junge Dame der Erzählerin anvertraut, eröffnet sie ihr sowohl ihre Abneigung gegen die Mutter, als auch ihren prähysterischen Zustand. Eine Spitze der erzählenden Britin führt dann auch zum Entschluss des Fräuleins, auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen.
Die letzte Kurzgeschichte heißt "Die fortschrittliche Dame". Den Rahmen bildet ein Sommerspaziergang der Kurgesellschaft. Die Herren streiten sich ob der Länge der Promenade - sind es nun 7,5 oder doch 8 Kilometer? Die Erzählerin frönt wieder ihrem zurückhaltenden Spaß am Lauschen von "köstlichem Getuschel". Auch diese Episode führt den Bildungsglauben der feinen Damen und Herren ad absurdum. Beispielsweise will die "fortschrittliche" Buchautorin den Emanzipationsbegriff mit "Die Frau ist eine einzige Gabe" auf den Punkt bringen.
In allen Erzählungen schildert Mansfield die deutsch-angelsächsische Distanz. Dabei stützen sich die Vorurteile der Deutschen meist auf hanebüchene Aussagen und Erlebnisse. Auch typisch wilhelminische Untertänigkeit hat sie beobachtet. Am meisten aber macht sich Mansfield über das bescheidene Frauenbild und den hochherrschaftlichen Habitus des deutschen Großbürgertums und Kleinadels lächerlich.
Nina Hoss' Hauptaufgabe besteht darin, die beobachtende Passivität der Erzählerin sprecherisch umzusetzen. Dass der Engländerin ihre deutsche Gesellschaft peinlich ist und sie sich im Stillen unentwegt über sie lustig macht, wird durch Hoss' etwas zu affektiertes Sprechen überreizt. Hoss liest - ganz Schauspielerin - zwar ausdrucksstark, dabei jedoch mitunter zu satirisch.
Dennoch hätte wohl auch ein anderer Vortrag nicht gänzlich verhindert, dass dieses Hörbuch am Ende genauso leidlich unterhaltsam ist wie der in ihm geschilderte versnobte Small Talk.
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