"Sein Werk soll gelesen werden",sagt Thomas Mann über den Roman "Der Prozeß " von Franz Kafka. Sein Werk soll aber auch gehört werden. Das dachten wohl die Produzenten des gleichnamigen Hörbuchs. 7 CD`s umfasst es. Nüchtern und spartanisch wirkt die in der Edition Brückner erschienene Lesung, die ohne Musik und nur einem Sprecher auskommt. Sie ist der Erzählweise des Romans adäquat. Wer genauer hinhört, dem erschließt sich aber bald das Werk in seiner vielschichtigen Farbigkeit.
Ein Alptraum wird wahr. Drei Beamte stehen frühmorgens an Josef K.´s Bett, um ihn zu verhaften. Den Grund verrät niemand. Der Angeklagte wird ihn nie erfahren. Überhaupt sind alle Umstände, in die Josef K. im weiteren Geschehen verstrickt wird, höchst ungewöhnlich. Nichts ist, wie es scheint. Nichts ist greif-, begreifbar. Josef K. ist verwirrt, ringt wie ein Ertrinkender um Klarheit. Aber je mehr sich der Angeklagte darum bemüht , desto unerbittlicher läuft er ins Leere, in noch größere Wirrnisse. Die Waffen der Logik haben längst versagt. Der Kampf gegen eine Welt, die nach anderen Gesetzen zu funktionieren scheint, endet tragisch. Wie Josef K. wird auch der Zuhörer in Fragen hinein gezogen, die nicht enden wollen. So will man beispielsweise wissen, in welchem Auftrag die Vollzugsbeamten handeln. Josef K. ziehe sie an, heißt es. Derartige Sätze schaffen Distanz, lassen aufhorchen. Man fragt sich, ist das nie in Erscheinung tretende Gericht vielleicht eine innere Einstellung, die Josef K. nach außen projiziert. Wenn man so will, ein Schuldgefühl? Der desolate Kampf gegen eine undefinierbare Übermacht, wären so gesehen nichts weiter als ein Spiegelgefecht. Gleichzeitig zeigt diese Gegenwelt Alternativen zu dem verzweifelten Vorgehen K.`s auf. So sagt ein Wächter zu K.: "Denken sie weniger an uns und an das, was mit Ihnen geschehen wird, denken sie lieber mehr an sich!" Nicht die äußere Handlung macht den Roman so reizvoll, sondern der allegorische Sprengstoff zwischen den Zeilen . Kafka kleidet das Mysteriöse in banale Alltäglichkeiten, ohne dass es komisch oder aufgesetzt wirkt. Die Symbiose ist perfekt. Das Verrückte scheint normal, das Normale verrückt.
Christian Brückner liest wie immer tadellos. Leider ist es ihm aber nicht immer gelungen, den für Kafkas "Prozeß" so eigentümlichen Rätselcharakter zu transportieren. Der Ton macht die Musik. Das in jeder Zeile mitschwingende Geheimnis bleibt ungehört. Brückner liest den Text wie eine Nebenkostenabrechnung. Sein Lesestil wird allenfalls der Oberfläche des Romans gerecht. Dennoch lohnt sich das Hörbuch, allein schon aufgrund der hochdramatischen Konfrontation zwischen zwei scheinbar ungleichen Welten.
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