[hoerBUCHtipps]
autoren                 |               sprecher                 |                   verlage                    |                 kritiker               |                         impressum

  

                                  

  Zeit-Zeugnisse: In dütt kommodige Familienbad

"Unter dem Bett stand alles voller Blut. Welch ein anblick für meine mutter", empört sich Ilse Schramm. Ihren Vater, den Landarbeiter Johann Bues, hatten Nationalsozialisten 1932 beim Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Eckernförde ermordet. In den Jahren zwischen 1920 und 1945 ging es "In dütt kommodige Familienbad" nicht gerade gemütlich zu. In ihrem gleichnamigen Hörfunk-Feature hat Astrid Matthiae diese Zeit akustisch eingefangen.
Auf "Plattdütsch" berichten Zeit-Zeugen von ihren Erlebnissen. Gerda Ivers erinnert sich an ihre Kindheit. Ihr Vater war Vorsitzender der Kommunistischen Partei von eckernförde. 1936 holte die Geheime Staatspolizei (GeStaPo) ihn ab. Er starb im Zuchthaus an den Folgen von Menschenversuchen.
Dorthin hatte seine Tochter ihm Weinbrandbohnen mitgebracht. Als der Aufseher ihr verbot, sie ihm direkt zu überreichen und sagte, der Vater werde sie später erhalten, da nahm sie sie wieder mit. Sie misstraute dem Versprechen. Darauf reagierte ihr Vater mit der Bemerkung: "Du bist ganz meine Tochter!"
Johann Bues wurde 1932 ein Treffen der Landarbeitergewerkschaft im Eckernförder Gewerkschaftshaus zum Verhängnis. Als die Nazis das gebäude angriffen, versuchte er gemeinsam mit seinem Kollegen, das Haus zu verteidigen. Durch den Rücken stieß ein Angreifer ein Messer in seinen Körper. Nach dem Abzug der Faschisten ließ die Polizei die beiden Verletzten noch stundenlang unversorgt. Sie starben am nächsten Tag im Krankenhaus.
Von alledem berichtet Matthiae auf plattdeutsch. Vor allem aber lässt sie Angehörige und Freunde der Opfer zu Wort kommen. Sie berichten von Fischern, die auf ihren Fahrten heimlich Menschen nach Dänemark geschmuggelt haben. Zurück brachten sie Flugblätter gegen den Faschismus.
Verhaftet wurden Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten. In Zuchthäusern oder Lagern endeten aber auch Menschen, die für die Familien von Verhafteten gesammelt hatten. Trotzdem gab es auch in diesen dunklen Zeiten Solidarität. Ein Polizist warnte Ivers, wenn wieder einmal eine Hausdurchsuchung bevorstand. Und schon die knapp zehnjährige Gerda Ivers verteilte kommunistische Flugblätter.
"Von alledem wollen die Menschen heute nichts hören", sagt eine Zeit-Zeugin. Jahrelang haben die Menschen diese Geschichte verdrängt. Erst 1981 begann eine Arbeitsgruppe, die Geschichte der Arbeiterbewegung in Eckernförde aufzuarbeiten. 1988 hat Astrid Matthiae ihre Interviews aufgezeichnet. Sie sind ein dokument des Schreckens, aber auch der Solidarität.
Der konsequent "plattdütsche Snak" steht in seltsamem Widerspruch zum Erzählten. Wer nicht in dieser Mundart lebt, dem fällt das Zuhören nicht immer leicht. Aber gerade diese Sprache der kleinen Leute macht ihre Aussagen wirkungsvoll. Sie erscheinen direkt und unverfälscht. Tiefe Bewegtheit kommt mit diesen Erinnerungen zum Ausdruck. Sie präsentieren das Unmenschliche auf menschliche Weise.
Am Ende stellt sich der Zuhörer die Frage, ob die Grauen "In diesem angenehmen Familienbad" nicht vielleicht nur ein Beispiel sind für die Schrecken des Faschismus überall im damaligen Deutschland. So ist dieses Hörbuch nicht nur ein eindrucksvolles Dokument der Zeitgeschichte, sondern auch ein bewegender Anstoß zum Nachdenken über Menschlichkeit.

Astrid Matthiae , "In dütt kommodige Familienbad "
gelesen von Astrid Matthiae
Produktion: Norddeutscher Rundfunk (NDR) Köln 1998

 

 

[Amazon]

 

home              |                suchen                  |            newsletter               |              gästebuch             |          kontakt


© 2003 by fjh-Journalistenbüro, D-350 37 Marburg