[hoerBUCHtipps]
autoren                 |               sprecher                 |                   verlage                    |                 kritiker               |                         impressum

  

                                  

  Vaters Opfergang, vom Sohn gelesen: Kanzlersturz

"Kanzler zu werden, war für Willy Brandt stets wichtiger als Kanzler zu sein." Der erste Satz aus Hermann Schreibers Buch ist gleichzeitig einer der zentralsten. Schreiber war vor und während der Kanzlerschaft als SPIEGEL-Reporter ein ständiger Beobachter Brandts. Doch wirklich nahe kam er - selbst nach eigenem Bekunden - Brandt erst, als der nicht mehr Kanzler war. Schreibers Faszination für diesen Mann schlägt sich schließlich als Autor von Biografien wie "Willy Brandt, Anatomie einer Veränderung" (1985), "Willy Brandt" (1986) und nun auch in dem neuesten Werk "Kanzlersturz - Warum Willy Brandt zurücktrat" nieder.
Jüngst arbeitete Schreiber als historischer Berater für das brand(t)aktuelle TV-Dokuspiel "Im Schatten der Macht", das die Guillaume-Affäre thematisiert. Günter Guillaume, der Mann, der Kanzler Brandt zum Verhängnis wurde, wird in diesem Film von einem Schauspieler namens Matthias Brandt verkörpert - Willy Brandts jüngstem Sohn. Als wäre dies allein nicht delikat genug, ließ er es sich denn auch nicht nehmen, die von Schreiber eigenhändig gekürzte, 234-minütige Hörbuchfassung des "Kanzlersturzes" zu lesen.
Um den anfänglichen Satz zu verstehen, muss man sich Willy Brandts Vita vergegenwärtigen. 1913 unehelich als Herbert Ernst Karl Frahm in Lübeck geboren, flieht der junge Linkssozialist 1933 vor den Nazis nach Norwegen und ändert seinen Namen. Unter falscher Identität arbeitet er 1936 für ein paar Monate im Untergrund von Berlin, dessen Zermauerung er 25 Jahre später als Regierender Bürgermeister erleben muss. 1938 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt; er nimmt daraufhin die norwegische an, tritt im schwedischen Exil der SPD bei und wird 1948 schließlich wieder Deutscher.
1964 hat Brandt den SPD-Parteivorsitz erklommen - und behält ihn 23 Jahre lang. 1966 wird er in der Großen Koalition Außenminister und Vizekanzler, bevor er 1969 im dritten Anlauf der erste sozialdemokratische deutsche Bundeskanzler wird. Brandts euphorisch-bombastischer Kommentar zu dem Triumph seines Lebens: "Nun erst hat Hitler den Krieg endgültig verloren."
Mit 58 Jahren ist Brandt zum Polit-Gott, zur "Autorität auch und gerade für jene geworden , die mit Autoritäten nicht viel im Sinn hatten. Wider härteste Widerstände hatte er die Neue Ost-Ppolitik gestaltet, dafür 1971 den Friedensnobelpreis bekommen und 1972 nach einem gescheiterten Misstrauensvotum in einem beispiellosen Akt von Volkssolidarität die Neuwahlen gewonnen.
Die "Willy-Wahl" ist für Schreiber der Scheitelpunkt. Der dann folgende Niedergang des inzwischen physisch und psychisch völlig erschöpften Kanzlers steht im Zentrum von Schreibers Brandt-Betrachtung. Die Zeit von Brandts Kampf um sein Leben, als er gleich nach der Wahl 1972 während einer Kehlkopf-Operation kurzzeitig zu Ersticken droht, bis zu Brandts Spiel mit seinem Leben, als er Anfang Mai 1974 während einer Parteiveranstaltung auf Helgoland kurzzeitig an Selbstmord denkt, könnte detaillierter und spannender nicht aufbereitet sein.
Schreiber berichtet faszinierend, wie der kraftlose Brandt politisch und mental vereinsamt. Brandts Stärke "gegenüber den Verführungen der Macht" wird ihm zur Schwäche. Aus "Willy dem Milden" - wie ihn sein aus Ex-Journalisten bestehender, kleiner Vertrautenkreis nennt - wird Willy der Apathische. Doch als solcher wird er für seine Parteigenossen Herbert Wehner und Helmut Schmidt zum Ärgernis.
Parallel zum Abstieg des Bundeskanzlers steht die nicht minder interessante Dokumentation des Aufstiegs eines Spions - Günter Guillaume. Schon das erzählerische Nebeneinander macht deutlich,dass es trotz aller Vorwürfe "keine Nähe" zwischen Brandt und Guillaume gegeben hat.
Hier indes liegt für Schreiber die eigentliche Perversion der Guillaume-Affäre. Es ist die plötzliche Ausbreitung von Brandts Intimsphäre, das boulevardesk-schmutzige Spekulieren über die "Weibergeschichten" des endgültig resignierten Kanzlers. Geradezu trotzig-beiläufig geht Schreiber ihnen erst ganz zum Schluss auf die Spur. Damit bleibt er bis zuletzt einem Prinzip treu, durch das sein gesamtes Buch noch fesselnder wird: nie nach der einen Beurteilung, der einen Wahrheit zu suchen!
Schreibers Buch ist großartig. Aber was ist nun mit Matthias Brandts Hörversion? Sie ist tatsächlich noch besser!
Wie er den politischen Opfergang seines eigenen Vaters - mitunter auch intime und selbst erlebte Schilderungen - mit einer sprachlichen Souveränität liest, damit toppt er den polit-journalistischen Genuss sogar noch. Pointierter, lebendiger, kurzweiliger, besser kann man ein politisches Buch nicht lesen! Matthias Brandt gebührt Respekt. Wie seinem Vater.

Hermann Schreiber, "Kanzlersturz"
Gelesen von Matthias Brandt
3 CDs, Gesamtdauer 2344 Minuten
© 2003 by Tachelles

CDs Bei Amazon bestellen!

 

 

[Amazon]

 

home              |                suchen                  |            newsletter               |              gästebuch             |          kontakt


© 2003 by fjh-Journalistenbüro, D-350 37 Marburg